Riesenbecks Ersterwähnung

Wann wird der Ort erstmals schriftlich genannt?

Von Dr. Christof Spannhoff

Ortsjubiläen sind heute ein wichtiger Teil der Geschichtskultur. Sie zeitigen vielfach Forschungen und Veröffentlichungen zur lokalen Geschichte und sind daher ein wichtiger Motor für die örtliche und regionale Geschichtsforschung.[1] In Nordwestdeutschland sind schriftliche Ersterwähnungen von Orten aber größtenteils Zufall der Überlieferung. Je weiter man in der Zeit zurückschreitet, desto geringer wird die Zahl der schriftlichen Zeugnisse, die einen Ortsnamen überliefert haben können.[2] Schriftquellen existieren generell für dieses Gebiet nördlich der Mittelgebirge erst seit etwa 800 n. Chr., weil es hier vor der Eingliederung Sachsens in das Fränkische Großreich unter Karl dem Großen keine Schreibkultur gab. Orte, die schon vorher entstanden waren, konnten also erst nach Einführung dieser Kulturtechnik schriftlich in Erscheinung treten. Trotz dieser Problematik sind Ersterwähnungen wichtig – nicht nur für die Einwohner des jeweiligen Ortes.[3] Allerdings ist die genaue zeitliche Einordnung und die exakte geographische Zuordnung eines in einem historischen Dokument genannten Ortsnamens nicht immer einfach und eindeutig. Das zeigt auch das Beispiel von Riesenbeck (Stadt Hörstel).

1042–1063?

In dem 2020 erschienenen Ortsnamenbuch für den Kreis Steinfurt wird für den besagten Ort ein Erstbeleg angeführt, der auf die Jahre zwischen 1042 und 1063 datiert ist.[4] Damals schenkte Benno, Vizedominus zu Mimigernaford (Münster), der Kirche St. Mariae daselbst (Stift Überwasser) zu seiner Memoria und zum Andenken an die verstorbenen Bischöfe Heriman und Sigifrid ein Gut „in Walthorpe“ (bei Altenberge), genannt „Hoanasche“ (Hof Hannasch bei Nienberge), wofür ihm vonseiten des Stifts ein mansus (Hufe, bäuerliche Hofstätte) zu „Ihtere“ (bei Nordkirchen) und ein „mansus in Risonbeke“ zu lebenslänglicher Benutzung gegen einen jährlichen Zins von zwei Pfennigen und mit Vorbehalt des Heimfallsrechtes nach seinem Tode übergeben wurde.[5]

Da die Urkunde nicht datiert ist, kann sie nur nach den Regierungsdaten des in ihrem Text genannten münsterischen Bischofs Rudbert (1042–1063) zeitlich eingeordnet werden. Zudem stellt sich die Frage, ob mit dem hier genannten „Risonbeke“ wirklich das Riesenbeck bei Hörstel gemeint ist, weil nähere Angaben zur Verortung fehlen. Schon Franz Darpe wies 1888 als Erster darauf hin, dass es eine bäuerliche Stätte namens Riesenbeck bei Gelmer (heute Stadt Münster) gab, die im frühen 19. Jahrhundert aufgeteilt wurde.[6] Dieses Anwesen erscheint im Jahr 1384 als „domus Rysenbeke to Ghelmere“ und hatte 20 Scheffel Weizen an das Stift Überwasser abzuliefern.[7] Schaut man nun in ein älteres Abgabenverzeichnis des Stifts aus dem 11. Jahrhundert, dann entdeckt man einen „mansus […] in villa Gelmere“, der ebenfalls 20 Scheffel Weizen abzugeben hatte.[8] Zudem war es damals die einzige Besitzung Überwassers in Gelmer. Hier dürfte ebenso die Bauernstätte Riesenbeck in Gelmer gemeint sein, die sich somit schon im 11. Jahrhundert nachweisen lässt und die dann auch identisch mit dem „mansus in Risonbeke“ sein muss, den Vizedominus Benno zwischen 1042 und 1063 vorübergehend zur Nutzung bis an sein Lebensende von der Äbtissin Ida von Überwasser überlassen bekam.[9] Hinzu kommt, dass sich für Riesenbeck (Hörstel) kein Grundbesitz des Stifts Überwasser nachweisen lässt. Damit liegt das „Risonbeke“ der Urkunde von 1042–1063 mit großer Wahrscheinlichkeit bei Gelmer.[10] Dieser Beleg kann also nicht für Riesenbeck (Hörstel) herangezogen werden.

1074–1076?

Die Ersterwähnung Riesenbecks (Hörstel) findet sich daher erst in einem Dokument, dessen Erstellung in die Zeit zwischen 1074 und 1088 gesetzt wird.[11] Auch dieses Schriftstück ist nämlich nicht datiert. Es handelt sich um einen Gerichtsschein über die Übertragung eines Hofes (curtis) zu Riesenbeck durch den Edlen Wal an den osnabrückischen Bischof Benno II. zugunsten der Clemenskirche in Iburg. Der Hof wird zur Ergänzung einer zuvor geschehenen Schenkung der Orte (loca) zu Aselage und Herßum gegeben. Durch diese Informationen ist das Dokument zu datieren. Es muss in der Regierungszeit Bischof Bennos II. aufgesetzt worden sein, also zwischen 1068 und 1088. Das frühere Rechtsgeschäft, auf das Bezug genommen wird – die Schenkung der Höfe zu Aselage und Herßum – fand 1074 statt.[12] Also wurde der Gerichtsschein zwischen 1074 und 1088 abgefasst. Allerdings wird das Dokument sehr wahrscheinlich zeitnah zum Jahr 1074 ausgestellt worden sein, weil die dokumentierten Zeugennamen der beiden Rechtsgeschäfte fast identisch sind. Und noch ein weiteres Argument kommt für eine Frühdatierung hinzu: Benno II. verließ Ende 1076 seinen Sprengel. Wegen der politischen Umstände konnte er bis 1080 nicht zurückkehren. In dieser Zeit war also die Tätigung von Rechtsgeschäften vor Ort nicht möglich. Es spricht somit einiges dafür, dass der Gerichtsschein, in dem Riesenbeck (Hörstel) erstmals erwähnt wird, zwischen 1074 und 1076 ausgestellt wurde.[13] Damit fällt die Ersterwähnung Riesenbecks (Hörstel) in diesen Zeitraum.


[1] Ingrid Heeg-Engelhart, Die erste Erwähnung eines Ortes. Anmerkungen zur Problematik historischer Jubiläen und deren Erforschung, in: Historische Jubiläen. Planung – Organisation – Durchführung, hrsg. v. Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V., München 2000, S. 87–105; Hans Roth, Historische Jubiläen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: ebd., S. 7–18, hier S. 10–12.

[2] Detlev Hellfaier u. Martin Last, Historisch bezeugte Orte in Niedersachsen bis zur Jahrtausendwende. Gräberfelder der Merowinger- und Karolingerzeit in Niedersachsen (spätes 5. bis 9. Jahrhundert), Hildesheim 1976; Kirstin Casemir u. Uwe Ohainski, Niedersächsische Orte bis zum Ende des ersten Jahrtausends in schriftlichen Quellen, Hannover 1995.

[3] Vgl. das gut aufgearbeitete Beispiel Dissen (Landkreis Osnabrück): Christof Spannhoff, Wie alt ist Dissen?, in: Dissen am Teutoburger Wald. 55 spannende Quellen zur Ortsgeschichte, hrsg. v. Birte Belter u.a., Bad Rothenfelde 2021, S. 10–11; Isabelle Guerreau, 822 – Die Ersterwähnung von Dissen, in: ebd., S. 17–19; Christof Spannhoff, Dissen 822 – Woher stammt das vermeintliche Jahr der Ersterwähnung?, in: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2023 (2022), S. 87–89.

[4] Claudia Maria Korsmeier, Die Ortsnamen des Kreises Steinfurt, Bielefeld 2020, S. 278.

[5] Westfälisches Urkundenbuch I, Cod. Nr. 138. Das Original findet sich im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Studienfonds Münster, Stift Überwasser, Münster, Urkunden, Nr. 3.

[6] Die Heberegister des Klosters Ueberwasser und des Stiftes St. Mauritz, bearb. v. Franz Darpe, Münster 1888, S. 299.

[7] Ebd., S. 42.

[8] Ebd., S. 15.

[9] Damit ist auch der Einwand Korsmeiers (wie Anm. 4), S. 279, obsolet, wonach die Hofstätte bei Münster erst im 14. Jahrhundert nachweisbar und daher der Beleg „Risonbeke“ für Riesenbeck (Hörstel) belastbar sei.

[10] Vgl. auch Edeltraud Balzer, Adel – Kirche – Stiftung. Studien zur Geschichte des Bistums Münster im 11. Jahrhundert, Münster 2006, S. 197 u. S. 349.

[11] Osnabrücker Urkundenbuch, Bd. 1, Nr. 171. Der Gerichtsschein ist nur als Abschrift des 14. Jahrhunderts überliefert: Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Osnabrück, Rep. 2, Nr. 169, S. 5 (Kopiar des Klosters Iburg).

[12] Osnabrücker Urkundenbuch, Bd. 1, Nr. 170.

[13] Thomas Raimann, Kirchliche und weltliche Herrschaftsstrukturen im Osnabrücker Nordland (9.–13. Jh.), Dissertation Osnabrück 2013 (https://repositorium.ub.uni-osnabrueck.de/bitstream/urn:nbn:de:gbv:700-2015033113148/2/thesis_raimann.pdf, eingesehen am 04.01.2024), S. 117, Anm. 565.